Günter Lange verstorben (+ 23. Mai 2024)

Im Alter von 92 Jahren ist Günter Lange am 23. Mai 2024 in Duisburg verstorben. Wir haben ihm sehr viel zu verdanken. Dem Landhaus und dem Verein war Günter über viele Jahre eng verbunden und hat das Vereinsleben durch seine Impulse mitgeprägt. Die Landhausgruppe war für ihn wie eine große Familie und er hat über Jahrzehnte fast alle Aktivitäten mitgemacht oder wohlwollend begleitet. So hat er mit uns Glauben und Leben geteilt. Er war schon bei der Gründungsversammlung im Jahr 1989 dabei und hat uns junge Leute ermutigt, mit der Übernahme des Landhauses von den Germeter Schwestern einen Ort zu schaffen, der für viele Gruppen Gemeinde auf Zeit erlebbar macht. Gute Resonanz fanden die Seminare „Kunst zur Bibel“, die Günter Lange im Rahmen des Bildungswerkes für Teilnehmende aus der Region angeboten hat. Diese Seminare waren wie eine Sehschule, bei der er Vielen die Augen für neue Perspektiven auf alte Kunstwerke geöffnet hat. Er hatte immer einen guten Draht zu Kindern. Wenn der Theologieprofessor von ihnen gefragt wurde, was sein Beruf sei, dann sagt er: „weiße Blätter voll machen.“ Unsere nun erwachsenen Kinder erinnern sich lebendig an ihn, wie er mit seinen Ohren wackeln konnte und ihnen zur Begrüßung in den Nacken pustete. Wir haben unzählige Gottesdienste mit ihm vorbereitet und gefeiert – oft im Freien unter der Remise des Landhauses. Er hat sich auf vieles eingelassen und wichtige Impulse in seinen Predigten gesetzt. Aber auch die „seligen Apfelschnitzel“ für die Kinder, die noch nicht zur Kommunion gegangen waren, sind legendär. Dies zeigt, wie wichtig es ihm war, dass alle dazugehörten und sich nicht ausgeschlossen fühlten. Oft hat er Bilder mitgebracht und sie uns in der Predigt ausgelegt. Beispielhaft möchte ich an das Pfingstbild – einen Farbholzschnitt – von Thomas Zacharias erinnern, den er uns zum 25jährigen Geburtstag des Landhauses gedeutet hat. Zunächst lernten wir das genaue Hinsehen: rote Flecken, blaue Adern, grüne Flächen …dann hörten wir die Pfingstgeschichte und er brachte sie mit dem Bild in Verbindung. Im roten Zentrum die gemeinsame Glaubenserfahrung der Jünger, die sich dann ausbreitet, wie ein blauer Fluss in grüner Landschaft… Dies hat er dann übertragen auf das Gemeinschaftsleben der Gäste im Landhaus, die eine positive Erfahrung machen und gestärkt oder verändert wieder in den Alltag zurückkehren. Der handsignierte Druck hängt seitdem im Speiseraum des Landhauses. In vielen Begegnungen haben wir Günter Lange als liebenswerten, freundlichen und offenen Menschen erlebt, der unser Landhaus-Leben bereichert hat. In unserem Jahresbericht aus dem Jahr 1995 findet sich ein Impuls von ihm unter der Überschrift „Gehend Meditieren“. Wer ihn gekannt hat, wird beim Lesen seine Stimme hören.
Zum „Landhaus am Heinberg“ gehören auch die beschaulichen Wege ringsum: Die Pfade über das Naturschutzgelände Rabensberg, der Rasenweg zwischen Berg und Acker, der Fußweg zum versteckten jüdischen Friedhof, die Wege zum Heinturm und um den Turm herum. Das alles sind Geh-Wege zum Meditieren oder zur Spazidation, wie ich das nenne. „Der Mensch ist Erde, die geht“, sagen die Indianer. Gehen kann man aber auf verschiedene Weise, zum Beispiel bummelnd und flanierend oder zielstrebig wandernd und stramm marschierend. Spazidation am Heinberg liegt zwischen diesen beiden Extremen. Gemeint ist die Verschmelzung von Spaziergang und Meditation: gehendes Erwägen, sinnierender Gang. Da haben wir lange beieinander gesessen, uns auseinandergesetzt mit Problemen, haben über Gott und die Welt diskutiert, so daß die Gedanken im Kopf nur so schwirren… Da soll ich eine Ansprache halten, habe dieses und jenes dazu gelesen, die Gedankenfülle verwirrt mich, kein roter Faden, alles wie verknotet… Wir machen eine Pause, ich sondere mich ab und gehe ins Freie. „Religion ist Unterbrechung“. Absichtslos gehen, ohne Zeitdruck, ohne Äußerungszwang. Erlöst von der vollen Konzentration, aber auch nicht völlig absorbiert von dem, was es draußen zu sehen, zu hören und zu riechen gibt. Ein Schwebezustand, der Wunder wirken kann. Zuerst nichts als Gehen. Allmählich schwingen Seele und Geist in den Geh-Rhythmus ein. Zügiges Weitergehen, aber niemals in Hast. Und dann, ich weiß nicht wie, strukturiert sich die mitgeschleppte Fülle der Gedanken, das innere Auge sieht Lösungen, der Knoten löst sich, die unproduktive Angst ist weg. – Aufatmen, Erleichterung. Es „geht“ natürlich nicht immer so. Kein Automatismus, keine Garantie. Reines Geschenk. Geschenk des Gehens. Eines Tages taucht die naheliegende Idee auf, ein kleines Tonbandgerät mitzunehmen, um all die guten Ideen sofort und möglichst vollständig zu speichern. Ein Desaster! Plötzlich ist das wieder da, wovon das Gehen befreit, der Druck und die Angst. Der Apparat in der Hand verhindert die Inspiration. In seinem „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ sagt Johann Gottfried Seume: „Ich halte den Gang für des Ehrenvollste und Selbständigste im Menschen und bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge.“                                                Günter Lange

Ein Nachruf von Stephan Lange